Heinz Heger, der Mann mit dem rosa Winkel


Unter dem Pseudonym Heinz Heger erschien 1972 im Merlin-Verlag das Buch Die Männer mit dem rosa Winkel, der erste Bericht eines Homosexuellen über seine KZ-Haft. Es sollte eine Art Klassiker und später in zahlreiche Sprachen übersetzt werden. Wie der Verfasser in seinem Vorwort betont, ist das im Buch Beschriebene ihm nicht selbst widerfahren, vielmehr habe er aufgezeichnet, was ihm von einem überlebenden Rosa-Winkel-Häftling berichtet worden ist.

Dieser Überlebende war Josef K., geboren am 25. Jänner 1915 in Wien. Seine Geschichte von der Verhaftung durch die Gestapo im März 1939, der mehrmonatigen, von einem Gericht verhängten Haftstrafe in einem Wiener Gefängnis, nach deren Absitzen er jedoch nicht entlassen, sondern in Schutzhaft genommen und ins KZ überstellt wurde, von den Erlebnisse in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Flossenbürg und von der Befreiung 1945 erzählte er einem Wiener Bekannten, Hans Neumann (1914-1979).

In rund fünfzehn Sitzungen in den Jahren 1965-67 hat Neumann Josef K.s Erzählungen mitstenographiert und dann – wohl zum Teil auch aus dem Gedächtnis – zu Papier gebracht. Josef K. war es immer ein Bedürfnis gewesen, von der Homosexuellenverfolgung der Nazi und den Greueltaten, die er selbst miterleben mußte, zu berichten. Er hätte all das gerne selber niedergeschrieben, meinte aber, ihm fehlte das Talent dazu. So war es ein glücklicher Zufall, daß er Neumann kennenlernte, der ein Buch über das Schicksal der Homosexuellen in den KZ schreiben wollte. Josef K.s Berichte sollten dann für ein ganzes Buch reichen. Miteinander bekannt machte die beiden ein gemeinsamer schwuler Bekannter, der einen Delikatessenladen besaß und bei dem Josef K. während der Arbeitswoche regelmäßig zur Mittagszeit vorbeischaute.

Obwohl Josef K. über seine KZ-Haft nicht schweigen wollte, wollte er in dem Buch – nicht zuletzt aus Rücksicht auf seine Familie – nicht mit seinem Namen genannt werden. Auch sonst hatte er nicht vor, persönlich mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Immerhin war Homosexualität unter Erwachsenen in Österreich noch bis 1971 strafbar. Als die letzte Sitzung mit Neumann vorbei war und er alles erzählt hatte, verspürte Josef K. jedenfalls große Zufriedenheit und Erleichterung. Sein Bericht würde der Nachwelt erhalten bleiben. Er kümmerte sich dann gar nicht weiter um die Publikation, las auch das fertige Manuskript vor Drucklegung nicht. Neumann suchte einige Jahre vergeblich einen Verlag für das Buch. Die Männer mit dem rosa Winkel war übrigens sein einziges Buch.

Durch den Umstand, daß Josef K. das Manuskript nicht mehr durchgelesen hat, blieben wohl einige Dinge unkorrigiert, die nicht ganz den Fakten entsprachen. Der Authentizität des Berichts hat das keinen Abbruch getan. Als Josef K. das gedruckte Buch las und von seinem Lebensgefährten auf einige dieser Ungenauigkeiten aufmerksam gemacht wurde, tat er das als unwichtig ab. Diese „Großzügigkeit“ in Kleinigkeiten und bei Nebensächlichkeiten war durchaus ein Charakterzug Josef K.s. Ihn störte es überhaupt nicht, daß einige ihn persönlich betreffende Details nicht ganz korrekt waren – Hauptsache, alle geschilderten Ereignisse entsprachen den Tatsachen.

So war Josef K. bei seiner Verhaftung im März 1939 24 Jahre alt – und nicht 22, wie Neumann es zu Papier gebracht hat. Josef K. wurde vom Gericht zu sieben und nicht, wie im Buch steht, zu sechs Monaten Kerker verurteilt. Die bedeutendste biographische Abweichung zwischen dem Protagonisten in Neumanns Buch und dem „realen“ Josef K. liegt indes in der Berufsangabe. Josef K. hat nie studiert. Als er 1939 verhaftet wurde, arbeitete er bei der Post, sein erlernter Beruf war Friseur. Nach der Heimkehr aus dem KZ wurde er allerdings nicht mehr von der Post aufgenommen. Er nahm eine Stelle als Vertreter bei einer traditionsreichen Firma aus der Monarchie, die Leder- und Schuhpflegemittel herstellte, an. Im Alter von 52 wechselte er in die Textilbranche.

Seinen Lebensgefährten, Willi K., lernte Josef übrigens 1946 kennen. Sie waren bis zu Josefs Tod im Jahre 1994 ein Paar. Auch wenn Josef K. aus Rücksicht auf seine Familie nicht an die Öffentlichkeit treten wollte, so lebten sie ihre Partnerschaft doch ganz selbstverständlich und innerhalb ihrer Familien, Verwandtschaft und im Freundeskreis offen und von diesen akzeptiert. Seine Familie und sein Freundeskreis waren Josef K. gerade in der ersten Zeit nach der Rückkehr aus dem KZ sehr wichtig. Er suchte Geselligkeit und Gesellschaft und ging daher sehr viel aus. In späteren Jahren und mit zunehmendem Alter zog er sich freilich lieber in seinen Garten zurück, den er mit Leidenschaft pflegte.

Keine Entschädigung

Der Name Josef K. ist in Österreich auch eng mit den Bemühungen um Wiedergutmachung verbunden. Entschädigung für seine KZ-Haft bekam Josef K. nach dem Krieg von der Republik jedoch keine. Unmittelbar nach der Befreiung, noch 1945, wandte sich Josef K. an die provisorisch eingerichtete Stelle für KZ-Heimkehrer im Wiener Rathaus. Dort gab man ihm jedoch gleich zu verstehen, daß er als „Warmer“ keine Unterstützung zu erwarten hätte. Man schlug ihm allerdings vor, seinen Winkel in den roten der „Politischen“ „umzufärben“, wenn er sich der jeweiligen Partei anschlösse. Dieses Angebot lehnte er – im Gegensatz zu einigen anderen Rosa-Winkel-Häftlingen – ab. Dazu war er zu stolz als Homosexueller. Schließlich wurde er mit einem Bezugsschein für einen Gasherd abgespeist – einen Bezugsschein wohlgemerkt, kaufen mußte er den Herd schon selber!

Als später das Parlament ein entsprechendes Opferfürsorgegesetz (OFG) erließ, fand diese ablehnende Haltung Eingang in das Gesetz. Es sah Entschädigung ausschließlich für aus rassischen, politischen oder religiösen Gründen Verfolgte vor. Verfolgung aufgrund der Homosexualität wurde nicht als typisch nationalsozialistisches Unrecht angesehen, da diese in Österreich sowohl vor als auch nach dem Anschluß verboten war. Und diese Argumentation wurde ausdrücklich auch auf die Schutzhaft im KZ nach Verbüßung der gerichtlich verhängten Strafe angewandt.

An einer Entschädigung nach dem OFG war Josef K. allerdings gar nicht so sehr interessiert, da sie finanziell nicht gerade großzügig war. Die Republik Österreich zahlte den anerkannten Opfern für jedes Monat im KZ eine Entschädigung von rund 850 Schilling. Viel interessanter war für Josef K. die Anerkennung der Haftzeit als Beitragsersatzzeit für die Pension. Als er 1976 in den Ruhestand trat, sprach er bei allen möglichen Stellen in dieser Sache vor – allerdings vergebens. Schriftliche Eingaben machte er zu diesem Zeitpunkt keine. Er ließ es dabei bewenden und wurde an jedem Monatsersten daran erinnert, daß seine Rente durch die sechs Jahre KZ-Haft entsprechend niedriger war. Besonders ärgerlich und empörend fand er dabei den Umstand, daß SS-Wärtern ihre „Dienstzeit“ im KZ sehr wohl als Versicherungsbeitragszeit auf die Pension angerechnet wurde, sofern ihnen keine Verbrechen nachgewiesen werden konnten.

1985 nahm die Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien Kontakt mit Josef K auf. Mitarbeiter der HOSI Wien hatten von einem Bekannten vom „Fall“ Josef K. gehört. Es kam zu einem Gespräch, bei dem die HOSI Wien ihre volle Unterstützung für seine Bemühungen um Wiedergutmachung zusagte.

Josef K. entschloß sich jedoch, weitere Schritte zu setzen, ohne die HOSI Wien beizuziehen bzw. darüber zu informieren: Im Juli 1986 machte er eine Eingabe bei der Volksanwaltschaft. Diese setzte sich in bewundernswerter Weise für die Sache ein, scheiterte aber an der Pensionsversicherungsanstalt und am Sozialministerium. Im März 1988 teilte die damalige Volksanwältin Franziska Fast Josef K. mit Bedauern mit, daß man nichts für ihn erreichen konnte. Daraufhin schrieb Josef K. an Bundeskanzler Franz Vranitzky. Im August 1988 ließ die Volksanwaltschaft zu Josef K.s Überraschung wissen, daß man in seiner Angelegenheit mit dem Sozialministerium weitere Gespräche und Abklärungen durchführen werde.

1988 beging Österreich sein großes Bedenkjahr – der Anschluß jährte sich zum 50. Mal. Die HOSI Wien nahm es zum Anlaß, nachdrücklich ihre Forderung nach Wiedergutmachung zu stellen. Unterstützt wurden diese Bemühungen durch die Grünen mittels entsprechender parlamentarischer Anfragen an den Sozialminister. 1988 und 1989 befaßte sich zudem der Nationalrat mit Novellierungen des OFG sowie des ASVG. Die Erweiterung des Begünstigtenkreises auf Homosexuelle scheiterte jedoch an den drei etablierten Opferverbänden, die sich vehement dagegen wehrten.

Ähnlich erfolglos blieb 1990 ein Gespräch der HOSI Wien mit dem damaligen Sozialminister Walter Geppert. Es wurde allerdings in Aussicht gestellt, Einzelfälle wohlwollend prüfen zu wollen. Man dachte offenbar an eine typisch österreichische Lösung: Mögliche Einzelfälle hätte man auf dem Kulanzweg positiv beschieden, zu einer anständigen offiziellen Lösung war man nicht bereit. Die HOSI Wien sollte solche Fälle namhaft machen. Im Ministerium wären keine Fälle bekannt. Das war eine glatte Lüge – denn zu diesem Zeitpunkt war das Ministerium bereits durch die Volksanwaltschaft mit dem Fall Josef K. befaßt worden, was die HOSI Wien aber damals noch nicht wußte.

Das Sozialministerium weigerte sich auch, seine umfangreichen Akten selbst auf Rosa-Winkel-Häftlinge zu überprüfen. Daß die HOSI Wien zu diesem Zeitpunkt keinen einzigen konkreten Fall vorlegen konnte – von Josef K. nahm sie ja an, daß er kein Interesse hatte –, war für das Ministerium willkommener Vorwand, eine Änderung der gesetzlichen Regelungen abzulehnen – die HOSI Wien hatte ein eigenes Opferfürsorgegesetz für Homosexuelle vorgeschlagen, um den Konflikt mit den politischen Opferverbänden zu umgehen. Überdies war das Ministerium nicht bereit, selbst Aufrufe an homosexuelle Opfer über die Massenmedien und geeignete Kanäle zu richten.

Schließlich wandte sich die HOSI Wien auf Anraten einer Abgeordneten ebenfalls an die Volksanwaltschaft. Im Mai 1992 kam es zu einem Gespräch mit der mittlerweile neuen Volksanwältin Evelyn Messner. Sie berichtete, daß sie noch nie mit der Frage der Wiedergutmachung für ein homosexuelles NS-Opfer konfrontiert worden war. Allerdings lag ihr gerade eine Beschwerde in einer Pensionssache vor. Die Volksanwältin gab zu verstehen, daß sie persönlich die Nichtentschädigung von homosexuellen NS-Opfern als großes Unrecht empfände, die Volksanwaltschaft indes keine Möglichkeit hätte, entsprechende Initiativen im Parlament zu setzen. Sie wollte jedoch das Anliegen in ihren Tätigkeitsbereich an den Nationalrat aufnehmen. Was sie auch tat – auf diese ihre Initiative ist es zurückzuführen, daß das Parlament im Juni 1995 ein Gesetz über die Gründung eines Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus verabschiedete, der in erster Linie für die bis dahin „vergessenen“ Opfer gedacht war. Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, daß der Fonds auch an wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgte Personen Leistungen erbringen kann. Zwei Personen sollten schließlich aus diesem Grund Zahlungen aus diesem Fonds (je 70.000 Schilling) erhalten.

Aber zurück ins Jahr 1992: Der Volksanwaltschaft gelang es schließlich doch noch, die Anrechnung der KZ-Zeit auf Josef K.s Pension durchzusetzen. Im Oktober 1992 erhielt er ein entsprechendes Schreiben von der Volksanwältin – die positive Erledigung seiner Eingabe hatte sich über sechs Jahre hingezogen! Begründung fand sich im Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt keine. Die Rechtslage war und ist jedenfalls genauso eindeutig wie beim OFG: Laut Allgemeinem Sozialversicherungsgesetz (ASVG) können Ersatzzeiten für Pensionsbeiträge nicht für Haftzeiten aufgrund eines Tatbestands, der auch vor und nach dem Anschluß bestraft wurde, anerkannt werden. Der Differenzbetrag wurde Josef K. dann auch für die bisherigen Pensionsjahre nachgezahlt. Nach der Neuberechnung hatte seine Pension jedoch dann eine Höhe erreicht, durch die er seine bisherigen Ansprüche als Mindestrentner auf Mietzinsbeihilfe und diverse Gebührenbefreiungen verlor. Unterm Strich hatte er daher trotz der Neufestsetzung der Pension nicht viel mehr. Dennoch war es ihm eine Genugtuung, eine volle Pension zu beziehen und nicht von Beihilfen leben zu müssen. Josef K. ist der einzige österreichische Rosa-Winkel-Häftling, dem seine KZ-Haft als Ersatzzeit auf die Pension angerechnet worden ist.

Als die HOSI Wien von diesem positiven Ausgang der Pensionsangelegenheit erfuhr, kontaktierte sie Josef und seinen Lebensgefährten Willi. Der Autor dieser Zeilen suchte die beiden im März 1993 auf – übrigens, das erste und einzige Mal, daß er mit Josef K. zusammentraf –, um sie zu überreden, jetzt doch auch um Wiedergutmachung nach dem OFG anzusuchen. Das Ministerium bestehe ja darauf, mit Einzelfällen befaßt zu werden, und habe ja wohlwollende Prüfung zugesagt. Josef K. wollte es sich überlegen – der Gedanke, sich wieder mit diesem Teil seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen, war ihm doch lästig. Er entschloß sich zwar dann, den Antrag zu stellen, tat dies aber wieder ohne fremde Hilfe.

Ich hörte nach meinem Besuch nichts mehr von den beiden. Als ich mich im Februar 1994 telefonisch wieder meldete, erfuhr ich von Willi, daß der eingebrachte Antrag auf Ausstellung eines entsprechenden Opferausweises im Dezember 1993 vom zuständigen Amt der Wiener Landesregierung abgelehnt worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte Josef K. bereits vier Schlaganfälle, einen langen Krankenhausaufenthalt hinter sich und war in einem Pflegeheim aufgenommen. Willi wollte aufgrund von Josefs Gesundheitszustand gegen den negativen Bescheid nicht mehr berufen. Ich konnte Willi aber dazu überreden. Wie es der Zufall wollte, telefonierten wir am letzten Tag der Einspruchsfrist. Es blieb also wenig Zeit, die Berufung zu schreiben. Gemeinsam formulierten wir die erforderliche Einspruchsbegründung und faxten ein paar Minuten vor Mitternacht den Einspruch ans Amt der Wiener Landesregierung.

In den nächsten Tagen telefonierte die HOSI Wien mit der zuständigen Magistratsabteilung, um Druck für eine rasche Entscheidung zu machen. Dabei erfuhr sie, daß der erstinstanzliche negative Bescheid nach Rück- und in Absprache mit dem Sozialministerium erlassen wurde. Merkwürdig – wollte das Ministerium doch mögliche Fälle wohlwollend prüfen. Die HOSI Wien telefonierte daraufhin wieder mit dem Büro des Sozialministeriums, um sich über diesen Umstand empört Luft zu machen. Ihr wurde erklärt, das Ministerium könnte erst – im positiven Sinne – tätig werden, wenn es aufgrund des Instanzenzugs mit der Sache befaßt würde. Daher mußte der Antrag in erster Instanz abgelehnt werden. Die HOSI Wien deponierte jedenfalls angesichts des Gesundheitszustands von Josef K. eindringlich die Forderung nach rascher und positiver Berufungsentscheidung und bestand auf einem neuerlichen Gesprächstermin mit dem Minister – auch dieser hatte inzwischen gewechselt. Schließlich wurde ein Termin mit seinem Sekretär für den 11. April vereinbart.

Josef K. verstarb am 15. März 1994 im 80. Lebensjahr, ohne jemals von der Republik Österreich für seine KZ-Haft entschädigt worden zu sein. Die Bürokratie und ihre Zyniker der Macht hatten einmal mehr obsiegt.

Josef K.s Lebensgefährte Willi K. lebt heute 77 jährig in Wien.

Source : Kurt Krickler, HOSI Wien.

Photo : Entrée du camp de Sachsenhausen, situé à une trentaine de kilomètres de Berlin (no copyright).

Aucun commentaire: